Symbolfoto
Es gibt diesen Sekundenbruchteil, in dem der Applaus nicht mehr brandet, sondern abebbt. Die Hände des Publikums liegen still, die ersten Mäntel werden übergezogen, Türen schlagen sanft ins Schloss. Auf der Bühne jedoch – gähnende Stille. Das Adrenalin, das die Darsteller in den letzten zwei Stunden getragen hat, fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus nach einem Luftstoß.
Ich habe diesen Moment oft erlebt, manchmal von der Pressetribüne, manchmal hinter der Bühne. Er riecht nach Schminke, Staub und kaltem Bühnenlicht. Manchmal bleibt ein letztes Lachen im Raum hängen, manchmal nur das metallische Echo von Stuhlbeinen, die über den Boden kratzen.
Für den Journalisten beginnt hier die Arbeit in einer Zwischenwelt. Noch hat man den Klang der Worte im Ohr, noch spürt man die Energie der Schauspieler, und doch muss man schon filtern, sortieren, abwägen. War diese Premiere eine Offenbarung oder nur solides Handwerk? Welche Szene darf man im Artikel zitieren, welche Pointe muss man weglassen?
Die Schauspieler, die eben noch Sätze geschleudert haben wie Pfeile, stehen jetzt mit einer Wasserflasche in der Hand da, reden halblaut, versuchen Small Talk mit Journalisten oder verschwinden wortlos in die Garderobe.
Zwischen Applaus und Leere liegt die Wahrheit über einen Theaterabend – ungeschönt, ungefiltert, aber auch verletzlich. Für den Kritiker ist das ein gefährlicher Moment: Die Versuchung ist groß, sich von dieser Stimmung einlullen zu lassen. Doch die Premiere endet nicht mit dem Schlussapplaus. Sie endet erst, wenn der Text geschrieben ist – und der muss das Echo dieser Stille aushalten.