Freunde, irgendwo zwischen belustigt und besorgt, haben mir kürzlich den Rang eines „radikalen Individualisten“ verliehen. Ein Ehrentitel, den ich mit einem Achselzucken und dem stillen Stolz eines Einsiedlerkrebses ohne Schale akzeptiert habe.
Ich gestehe, Menschenansammlungen, egal ob politisch, religiös oder sportlich motiviert, wirken auf mich wie ein schlechtes Signal auf einem Handy in einem Funkloch – ich meide sie, so gut ich kann. Die Masse? Nein, danke. Das ist ein Club, in den ich bisher nie wirklich reinwollte.
Doch getrieben von einer Mischung aus Neugier und einer plötzlich erwachten Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, finde ich mich neulich inmitten einer Demonstration auf dem Kehler Marktplatz wieder. Ja, tatsächlich. Ich, der Mensch, der Gruppenaktivitäten normalerweise meidet, als wären sie verpflichtende Klassentreffen, stehe in der Mitte einer Menschenmenge. Das Ziel? Flagge zeigen gegen rechtes Gedankengut und die unverbesserlich Gestrigen. Vor der Friedenskirche stehen an diesem Samstag Hunderte von Kehlerinnen und Kehlern, entschlossen ein Zeichen gegen Strömungen in unserer Gesellschaft zu setzen, die an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnern.
Für mich persönlich bedeutet es, vorübergehend meine tiefsitzende Abneigung gegenüber Gruppenereignissen zu überwinden. Es ist wohl ein recht bescheidener Akt des Widerstands, nicht nur gegen eine politische Richtung, die mir suspekt ist, sondern auch gegen meine eigene Natur. Plötzlich finde ich mich, applaudierend und rufend, Schulter an Schulter mit Menschen, die solidarisch für andere Menschen eintreten. Unter der Menge treffe ich auf viele altbekannte Gesichter – das tut gut!
Am Ende des Tages kehre ich zurück in mein „Refugium“, das so dicht bevölkert ist wie die Oberfläche des Mondes an einem durchschnittlichen Werktag. Irgendwie habe ich das Gefühl, etwas Richtiges getan zu haben, und vielleicht, nur vielleicht, ein bisschen weniger radikal in meiner Individualität zu sein. Dieser Tag lehrt mich eine wichtige Lektion: Manchmal muss man über seinen eigenen Schatten – oder in meinem Fall, über seine eigene Abneigung gegenüber Menschenansammlungen – springen, um für das einzustehen, was einem wichtig erscheint.
Rückblickend war es eine seltene Erfahrung allemal, bei der ich mich als Teil eines größeren Ganzen fühlte, vereint in der Absicht, eine klare Botschaft gegen Intoleranz und Rückwärtsgewandtheit zu senden. Intolerante und menschenverachtende Geister sollten eins nicht vergessen: Demokratien mögen manchmal schwach erscheinen, Demokraten sind es nicht … wir in Kehl sind eine weltoffene, bunte Gemeinschaft und ich will mir von niemandem sagen lassen, wer dazu gehört und wer nicht.