Novembernebel 
November – ein Monat, der sich wie ein schwerer, abgetragener Mantel über die Straßen von Kehl legt. Am Rheinufer zieht sich der Nebel über das Wasser und löscht die Farben der Uferlandschaft, wie ein Maler, der sein Werk in trübem Grau neu erschafft. Die Stadt atmet leise. In dieser Stille drängt sich das Vergangene vor, greifbar in der Luft und in den Winkeln der alten Häuser. Hier und da verharren die letzten Blätter an den Ästen, klammern sich fest wie letzte Gedanken an die Wärme des Sommers, bevor auch sie dem Wind erliegen.

Tage der Erinnerung
Die ersten Tage des Novembers gehören den Erinnerungen. Allerheiligen: Menschen wandeln über den Friedhof, ein stilles Ritual, bei dem Kerzen wie kleine Hoffnungslichter im Dunst flackern. Gesichter in Gedanken verloren, einige verweilen länger an den Gräbern, als könnten ein paar Worte mit den Verlorenen noch bleiben, bevor der November sie fortträgt. Ich denke oft an die Menschen, die nicht mehr da sind – an die ältere Dame, die in der Stadthalle bei den Theateraufführungen immer vor mir saß, an den Architekten, der stets herzlich grüßte, an die einsame Leserin, die meine Artikel regelmäßig las und dann kritisch wohlwollend kommentierte, an meinen ehemaligen Lehrer, der mein Leben prägte. Man hört nur das leise Knirschen der Kiesel unter schweren Schritten, ein Echo, das den Abschied von den Liebsten begleitet.

Ruhige Schritte hallen auch durch den Rosengarten, der ohne seine Blüten eine andächtige Ruhe verströmt. Selbst der Marktplatz, sonst das pulsierende Herz der Stadt, scheint gedämpft, als würde auch er den Verlust spüren, den dieser Monat mit sich bringt. Die Gespräche sind leise, die Gesichter in den Cafés vergraben sich in Kragen und Tassen, meine Augen wandern über das Rheinufer, suchen in der trüben Ferne einen Anker in dieser Zeit der Vergänglichkeit.

Der November ist kein lauter Monat. Er bietet nichts außer der Stille, die wie ein Spiegel ist – ein Spiegel für das, was war, und für das, was noch kommt.

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